Julia Kühl, M.A., Doktorandin

Der lokale (ostdeutsche) Staat und die Verkehrswende (2021-2024)

Die Art und Weise wie Menschen mobil sind, ändert sich zwar aufgrund technischer Entwicklungen, wirtschaftlicher Rationalitäten und gesellschafts-politischer Vorstellungen ständig, doch nun soll mit dem politischen Projekt der Verkehrswende das gesamte Verkehrssystem in Deutschland und Europa innerhalb weniger Jahrzehnte dekarbonisiert werden. Ein Baustein dieses politischen Programmes ist die Ausweitung und Aufwertung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), um mehr Verkehr vom Auto auf verschiedene öffentliche Transportmittel zu verlagern. Dafür investiert der Bund mithilfe unterschiedlicher Förderprogramme und Maßnahmen und delegiert Verantwortlichkeiten auf die kommunale Ebene.
Das Ziel meines Forschungsvorhabens ist es nachzuverfolgen, wie dieses politische Projekt in der peri-urbanen Region des Saalekreises umgesetzt wird und welche Effekte dabei auf die höheren Ebenen zurückwirken.

Mithilfe ethnographischer Methoden und durch Anwendung des methodologischen ‚studying through’ Ansatzes (Shore/Wright 2011) folgt die Studie dafür alltäglichen Auseinandersetzungen, Beziehungen und Perspektiven von professionellen Akteurinnen, welche in der Umsetzung, Verwaltung, Planung, Bereitstellung und Entscheidungen über öffentliche Mobilität involviert sind, sowie nicht- professionellen Akteurinnen und Bürgerinnen, die auf unterschiedliche Weise, als Teil des politischen Feldes, die lokale Verkehrspolitik mit beeinflussen.
Ich frage mich mit welchen Strategien und Konzepten die Akteure ihre Ziele verfolgen und was ihr Handeln beeinflusst, einschränkt oder erweitert. Welche Gruppen werden auf welche Art und Weise Subjekt von Politik und wie wird um ihre Zustimmung gerungen? Ein besonderer Fokus liegt auf den symbolischen Aspekten, auf den Narrativen, Erinnerungen und Bedeutungszuschreibungen, die im Zusammenhang mit dem Kampf um Hegemonie mobilisiert werden. Wie werden diese zum einen lokalisiert, in dem auf die örtliche Mobilitätsgeschichte zurückgegriffen wird, die nach der Wende eine ‚Transportrevolution‘ vom Werkverkehr zum eigenen Auto erlebte und zum anderen de-lokalisiert?
Das Forschungsvorhaben verortet sich damit im systematischen Feld der politischen Anthropologie sowie der Umwelt-und Nachhaltigkeitsanthropologie und in den interdisziplinären Mobilitätsstudien.
Es verspricht neue Erkenntnisse über lokale Dynamiken von ‚Grünen Transformationen‘⁠ (Scoones 2016) und damit einhergehend (neue) Formen der Machtausübung in staatlichen und nicht-staatlichen Feldern, die über die lokalen Kontexte hinaus wirken und grundsätzliche Fragen zu Machtkontinuitäten/und -disruptionen im Übergang zu post-fossilen Gesellschaften aufwerfen.