Felix Schiedlowski, M.A.

The Space of the Gap

Politics and Time in Un-Making an Eastern German Mining District

Mit dem schrittweise eingeleiteten und spätestens 2038 vollzogenen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung steht das Mitteldeutsche Revier vor einem tiefgreifenden Strukturwandel. Der mit Klimaschutz, Energiewende und der Endlichkeit fossiler Ressourcen begründete Prozess wird das Leben in der Region verändern. Betroffen sind Arbeitsplätze und Wirtschaftsstrukturen ebenso wie Vorstellungen vom richtigen Leben im (post-)fossilen Zeitalter. Wirrungen und Herausforderungen der Gegenwart sollen als Chancen begriffen werden, Strukturwandel gilt als Versprechen einer geordneten und nachhaltigen Zukunft.

Dieses Forschungsprojekt untersucht, wie Strukturwandel-Akteure im Mitteldeutschen Revier versuchen Schritt zu halten mit der Suche nach einer post-fossilen Zukunft. Der Begriff Strukturwandel kann dabei als eine Blaupause für Fortschritt und Ordnung verstanden werden. Der Begriff wird geprägt, verhandelt, adaptiert, negiert oder ignoriert auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene; in Parteien, Kommissionen und Interessensgruppen sowie in öffentlichen und medialen Diskursen. Zwischen Februar 2020 und August 2021 habe ich ethnografisch erforscht, wie Akteure aus Politik, der Kohleindustrie, dem Verwaltungsapparat und der Zivilgesellschaft versuchen die Rolle von Betroffenen, Interessensmittlern, Experten, scheinbar unpolitischen oder gewöhnlichen Bürgern einzunehmen. Ich habe Strukturwandel dabei als parallelen Prozess von Abwicklung und Erneuerung wahrgenommen. Die Abwicklung der fossilen Energielandschaft soll gleichzeitig zum Aufbau einer Modellregion für nachhaltiges Wachstum führen. An dieser Stelle übersetzt sich der globale Zustand Anthropozän in lokale Wirklichkeiten. Diese Übersetzung provoziert Hoffnungen, Sehnsüchte, Skepsis, Ablehnung und Gleichgültigkeit.

Auf theoretischer Ebene begegne ich meinem Forschungsfeld mit dem Konzept der Leerstelle (gap). Der Strukturwandel-Prozess im Mitteldeutschen Revier, so meine Erkenntnis, setzt sich aus diversen Leerstellen zusammen: Manchmal erfüllen sich die Versprechen von Erneuerung nicht. Manche Akteure können nicht Schritt halten mit den Definitionen vom guten Leben. Manchmal scheint die Gegenwart gefangen zwischen einem nicht mehr und noch nicht. Mit diesem Forschungsprojekt versuche ich die emischen Erfahrungen der Leerstelle in ein Werkzeug für ethnologische Wissensproduktion zu übersetzen. Ich suche Antworten auf die Fragen: Wie wird die post-fossile Gesellschaft gemacht, und wer kann daran teilhaben? Welche moralischen Überzeugungen verlangt der Prozess der Energiewende? Wie halten Menschen im Mitteldeutschen Revier Schritt mit diesen moralischen Grundsätzen? Wie beeinflusst der Kohleausstieg zeitliche Orientierungen im Revier?

Doktorarbeit, Supervisor: Prof. Dr. Asta Vonderau (MLU, Erstbetreuerin), Assistant Professor Felix Ringel (Durham University, Zweitbetreuer)