01.07.22 | 10:00

Wege zu einer Kritik der fossilen Vernunft

Kulturwissenschaftliche und kuratorische Forschungen zur Petromoderne

Dr. Alexander Klose

Reichardtstraße 6, Seminarraum

Kein anderer Stoff hat die modernen industriellen Gesellschaften im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert so geprägt wie das Erdöl. Flugzeuge, Panzer und Weltraumraketen, Autobahnen, Shopping Malls und Vorortsiedlungen, Nylonstrümpfe, Plastikberge und Vinyl – zentrale Materialien und Technologien, kulturelle Erzeugnisse, Lebensweisen und Visionen unserer Zeit verdanken sich der Energiedichte und Wandelbarkeit von Erdöl. Die globale Mobilität und die moderne Lebensweise werden mehr oder weniger durch diesen Stoff ermöglicht. Darüber hinaus verbinden sich wissenschaftliche, technische sowie metaphysische und spirituelle Vorstellungen und Erwartungen mit diesem schillernden Material. Erdöl und Plastik – die prima materia des Anthropozäns – sind nicht nur in Motoren und auf Oberflächen, Bekleidungen und Geräten. Sie sind auch in unseren Körpern, in unserem Denken, in unseren Ansprüchen und Träumen.

Jetzt, da die Dämmerung dieses Zeitalters angebrochen zu sein scheint, stellt sich die Frage, wie wir unsere intimen Beziehungen zu diesen Stoffen wieder lösen können. Angesichts ihrer Allgegenwart erscheint das Versprechen einer Petromoderne ohne Petroleum, also eine technisch gewährleisteten Substitution durch andere Stoffgrundlagen und Technologien als ebenso verlockend wie unterkomplex. Das Kollektiv Beauty of Oil hat sich der Erforschung der sogenannten weichen Faktoren dieser Epoche verschrieben. Das Ziel, systematisch mehr über die Glaubensannahmen, Ansprüche, Phantasien, Mentalitäten und Weltbilder, aber auch die Wissenssysteme, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen herauszufinden, die sich mit den erdölbasierten Technologien und Materialien in Zusammenhang bringen lassen, verbindet sich mit der Annahme, dass eine solche Bestandsaufnahme Perspektiven auf eine Zeit vor und eine Zeit nach dem Erdöl sowie Wege aus dem Erdölzeitalter heraus eröffnet.

Alexander Klose ist eines der Gründungsmitglieder von Beauty of Oil. In seinem Vortrag gibt er eine kurze Einführung in vergangene und geplante Projekte, spricht über die methodischen Ansätze des Forschungskollektivs – chemische Kulturtheorie, Petrokulturvergleich und Trauerarbeit – und skizziert die Umrisse einer noch zu schreibenden Kritik der fossilen Vernunft.

Alexander Klose studierte Jura, Kunst, Philosophie und Kulturwissenschaft in Hannover und Berlin. Er promovierte sich mit einer Arbeit zur Bedeutung von standardisierten Transportbehältern und Logistik an der Bauhaus Universität Weimar. Seine Forschungsarbeiten zur technischen Verfasstheit der Lebensbedingungen und Weltsichten in den modernen Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts bewegen sich auf der Grenzlinie zwischen künstlerischer, kuratorischer und kulturwissenschaftlicher Praxis.