16.06.16 | 16:15

Das Museum als digitaler Lebensraum

Ringvorlesung „Museum 4.0 - Herausforderungen an kulturelles Erbe in der digitalen Welt“

Beate Ochsner [Universität Konstanz]

Kooperation des ZIRS, des Instituts für Soziologie, der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Juristischer Bereich, und des Seminars für Ethnologie
Melanchthonianum, Hörsaal XX
Universitätsplatz 8/9
06108 Halle

„Modern multimedia exhibitions reflect not the international world of museums as repositories, but the external world in which museums now find themselves.“ (Roger Miles)

Als Jean-François Lyotard vor 30 Jahren die Ausstellung „Les Immatériaux“ konzipierte, war eines seiner Ziele, sie für ein „möglichst großes Publikum“ zu öffnen. Dominiert von den in den 1980er Jahren aktuellen Technologien wie Computerterminals, Projektoren und multimediale Installationen sollte das Ausstellungsprojekt das Publikum zum Überdenken der drängenden Frage führen, ob und inwiefern sog. ‚Immaterialien‘ die Relationen zwischen Mensch und Materie bzw. Technik und mithin die Position des Menschen in der Gesellschaft verändern. Die Öffnung dieser philosophischen Frage für die Masse setze dabei – so Lyotards Idee – das Denken und mithin die Philosophie selbst aufs Spiel. In seinem Aufsatz über digitale Objekte fordert Yuk Hui unter Verweis auf Heideggers Vermutung, dass die Kybernetik die Metaphysik ablöse, eine neue (digitale) Philosophie, die das frühere Substanzdenken durch ein Denken der Relationalität ersetzt. Obgleich Hui sich nicht auf museale Kontexte bezieht, betonen beide Forscher die Notwendigkeit eines neuen Denkens, imstande, das Werden der digitalen Kultur zu erfassen. Doch auch wenn Lyotard (noch) die Trennung oder Trennbarkeit zwischen unserem Sein und seiner Umwelt bzw. der dieses Sein umgebenden Objekte zu (re-)affimieren scheint, wird digitale Kultur im Rahmen seiner Ausstellung nicht als eine Lebensform im Museum abgebildet oder erforscht, vielmehr wird das ‚Museum‘ selbst zum digitalen Lebensraum. In diesem Zuge wird die Unterscheidung zwischen Materialität und Immaterialität hinfällig, vielmehr durchdringt das Digitale alle Lebensräume in Form von Daten, die ihrerseits zu Objekten werden können. Im Vortrag werden mithin weniger Fragen der Digitalisierbarkeit einzelner Exponate diskutiert, vielmehr möchte ich das Museum als digitalen und partizipatorischen Lebensraum begreifen, wie er durch spezifische Praktiken und Abläufe beschreibbar wird. Dabei gestaltet das Museum den digitalen Lebensraum in gleichem Maße, wie es durch ihn gestaltet wird. Der Beitrag schließt u.a. an neuere medienökologische Forschungen an, die sich mit der Koemergenz von Materialität und immateriellen digitalen Prozessen beschäftigen, d.h. mit komplexen Assemblagen von Bildern und Texten, von Affektivität und Emotionalität, wie an ausgewählten Beispielen aufgezeigt wird.

Prof. Dr. Beate OCHSNER ist seit 2008 Professorin für Medienwissenschaft an der Universität Konstanz. Zuvor war sie Assistentin am Lehrstuhl für Romanistik an der Universität Mannheit. Sie habilitierte sich 2002 mit DeMONSTRAtion. Zur Repräsentation des Monsters und des Monströsen in Literatur, Fotographie und Film. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der audiovisuellen Produktion von Dis/Ability, den medialen Praktiken des Sehens und Hörens, medialen Teilhabekulturen und Intermedialität.