
Die Verabschiedung des European Green Deal (EGD) stellt eine Zäsur der europäischen Klima- und Wirtschaftspolitik dar. Mit dem EGD leitete die Europäische Kommission zum Jahresende 2019 die Transformation der europäischen Wirtschaft hin zur Klimaneutralität ein. Die Kommission, und damit alle Länder der EU, verpflichten sich, die klimarelevanten „Netto-Treibhausgasmissionen“ bis 2050, zumindest bilanziell, auf Null zu reduzieren (Europäische Kommission, 2019: 2). Aktuelle makro-ökonomische Forschungen melden jedoch Zweifel an der Umsetzbarkeit dieser ambitionierten Ziele an und diagnostizieren ein Umsetzungsdefizit. So reichten die Verabschiedung neuer Regularien und massive Investitionen in den öffentlichen und privaten Sektor nicht aus, um die ambitionierten Ziele tatsächlich zu erreichen werden (Wolf et al., 2021).
Dies hat auch die EU-Kommission anerkannt. Im Lichte des augenscheinlichen Umsetzungsdefizits und als Teil der Lösung wurde im Oktober 2020 das Neue Europäische Bauhaus (NEB) als intersektoraler Mehrebenenansatz konstruiert „to go faster and do things better“ (von der Leyen, 2019: 9). Die Rolle der EU-Institutionen innerhalb des NEB ist dabei wirklich bemerkenswert, denn sie werden erstmals selbst zu Akteurinnen, die die „großen Transformation“ (WBGU 2011) projektförmig zu operationalisieren und durch die gezielte Mobilisierung eines breiten und innovativen Akteursspektrums zu beschleunigen versuchen. Das dabei zur Anwendung kommende, neu designte, informelle Instrumentarium ist eines, dass bisher lediglich durch Bundesländer, Metropolregionen, oder Städte genutzt wurde und entlang ihrer konstituierenden Elemente verwandt mit der Kategorie der „Innovativen Formate der Stadt- und Regionalentwicklung“ (etwa nach Hohn et al. 2014) zu sein scheint. Diese waren bisher nur mittelbar, über die Strukturfonds (bspw. EFRE, ESF), mit der EU verbunden. Dass sich nun die Kommission durch eine kuratierende Rolle an der Initiierung und Umsetzung von Projekten auf der Ebene der Städte und Kommunen beteiligt und neue Plattformen der Kooperation und Innovation zu initiieren versucht, stellt eine neue Qualität der europäischen Politikgestaltung dar und gibt Anlass zu der Annahme, dass das NEB als Zeichen eines sich wandelnden Steuerungsverständnisses in Bezug auf Innovationen in Raumentwicklung und -planung markiert.
Ob und inwiefern die neuen Ansätze der Raum- und Strukturentwicklung zu neuen (und verstetigten) Governance-Arrangements und Raumkonstruktionen führen soll in meiner Arbeit untersucht werden. Die Rekonstruktion von Teilprozessen wie beispielsweise, des EU-policy-makings, der Bemühungen unterschiedlicher politischer Ebenen um eine Just Transition, lokale Strategien der Brachflächenentwicklung und die Mobilisierung der Wissenschaft und Kultur für die Findung innovativer Lösungen in der Quartiersentwicklung werden mithilfe des sozialtheoretischen Strangs der Politics of Scale (siehe bspw. Moore 2008) integriert und „flat“ (Marston 2005) betrachtet. Dies geschieht in enger empirischer Anlehnung an das im Mitteldeutschen Revier verortete „Sachsen-Anhalt Projekt“, eine der mannigfaltigen Initiativen, die sich unter dem Dach des NEBs europaweit gebildet haben. Mithilfe der Methoden der qualitativen Sozialforschung, im speziellen des Ansatzes der „Multi-Sited Ethnography“ (Marcus 1995), informieren die Akteur:innen aus den Politikarenen der EU, des Landes Sachsen-Anhalts und aus Zeitz darüber, wie sich die projektförmige Operationalisierung des Neuen Europäischen Bauhauses über die Ebenen hinweg vollzieht.
References
Europäische Kommission (2019): MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN – Der europäische Grüne Deal. Brüssel. Online verfügbar unter https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/european-green-deal-communication_de.pdf, zuletzt aktualisiert am 01.08.2022, zuletzt geprüft am 01.08.2022.
Hohn, Uta, Jan Balke, und Stadt- und Regionalwissenschaftliches Forschungsnetzwerk Ruhr, Hrsg. Formate der Innovation in der Stadt- und Regionalentwicklung: Reflexionen aus Planungstheorie und Planungspraxis. Metropolis und Region 13. Detmold: Rohn, 2014.
Marcus, George E. „Ethnography in/of the World System: The Emergence of Multi-Sited Ethnography“. Annual Review of Anthropology 24 (1995): 95–117.
Marston, Sallie, J.P. Jones, und Keith Woodward. „Human Geography Without Scale“. Transactions of The Institute of British Geographers – TRANS INST BRIT GEOGR 30 (1. Dezember 2005): 416–32. https://doi.org/10.1111/j.1475-5661.2005.00180.x.
Moore, Adam. „Rethinking scale as a geographical category: From analysis to practice“. Progress in Human Geography – PROG HUM GEOGR 32 (1. April 2008): 203–25. https://doi.org/10.1177/0309132507087647.
von der Leyen, U. (2020): State of the Union Address 2020. European Commission. Online verfügbar unter https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/soteu_2020_en.pdf, zuletzt aktualisiert am 01.08.2022, zuletzt geprüft am 01.08.2022.
WBGU (2011): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Hg. v. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Berlin. Online
verfügbar unter https://issuu.com/wbgu/docs/wbgu_jg2011?fr=sMzhlOTM1OTc5NDI, zuletzt aktualisiert am 01.08.2022, zuletzt geprüft am 01.08.2022.
Wolf, S., Teitge, J., Mielke, J., Schütze, F., & Jaeger, C. (2021). The European Green Deal—More Than Climate Neutrality. Intereconomics, 56(2), 99–107. https://doi.org/10.1007/s10272-021-0963-z